Erziehung ist kein Thema, das nur in unserer Zeit diskutiert wird. Vielmehr ist Erziehung schon seit jeher ein wichtiger Bestandteil des Lebens und hat schon immer Eltern, Pädagogen, Psychologen und viele anderen Berufsgruppen interessiert und herausgefordert. 1948 erschien „The Challenge of Parenthood“ von Rudolf Dreikurs – ein Buch, das in den USA schnell zum Bestseller wurde. 1973 gelangte das Buch, von Erik Blumenthal überarbeitet, auf den deutschen Buchmarkt. Im Jahr 2010 – 62 Jahre nach seinem ersten Erscheinen – füllt es erneut überarbeitet mit dem Titel „Wie Eltern besser werden“ die Regale.
Ganz zu Beginn muss Dreikurs‘ Werk in die Geschichte jener Zeit eingebettet werden: Es ist die Nachkriegszeit, die verschiedenste Probleme aufbringt in den unterschiedlichen Ländern. Mütter sind mit vielen Aufgaben überladen, die Kinder suchen ihren Weg in Auseinandersetzung mit der Welt und den Eltern. Laut Dreikurs sind Kinder „keine kleinen Engel, sondern eigenwillige Individuen, welche um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen“. In Folge dessen entsteht ein Kampf zwischen Eltern und Kindern, der allzu oft die Eltern zermürbt. Dreikurs‘ erlaubte nun mittels seiner Theorie den Müttern, zu ihren negativen Gefühlen zu stehen, sich selbige anzusehen und auf diese Weise zu reflektieren, wie es zu Missverhältnisse kommt und welche Verhaltensweisen in der Interaktion zu Problemen führen. – Im Rahmen der damaligen Zeit ein Tabubruch. Ganz besonders hervorgehoben wird dabei der demokratische Erziehungsstil nach dem Leitprinzip „Wenn die Demokratie versagt, muss sie durch noch mehr Demokratie geheilt werden“.
Doch in wie weit können Ratschlage aus vergangenen Jahrzehnten – ja sogar aus einem anderen Jahrhundert – heute noch angewandt werden? Betrachtet man den Inhalt des Buches wird klar, dass viele der damaligen Themen auch heute noch Gewicht in Erziehungsfragen haben: Es geht u.a. um die Beachtung des Kindes, Machtkämpfe zwischen Kindern und Eltern, psychische Auffälligkeiten wie Autismus und antisozialem Verhalten, die Grundprinzipien wirksamer Erziehungsmethoden (Ordnung, Streit vermeiden, Ermutigung) und Erziehungsfehler. Dabei werden die Probleme nicht nur an den Kindern festgemacht, sondern bewusst das Verhalten der Eltern in die Entstehung von Erziehungsproblemen einbezogen.
Trotz des Grundgedankens, dass Eltern die problematischen Verhaltensweisen ihrer Kinder hervorrufen, der im Verlauf des Buches immer wieder anklingt, wird in der Problembeseitigung stets beim Kind angesetzt. Die den Erziehungsfehlern zugrunde liegenden Fehlannahmen der Eltern werden zwar reflektiert, doch nicht grundsätzlich als Ansatzpunkt der Therapie angesehen. Handlungsschwerpunkt ist noch immer das Entgegensteuern des „Fehlverhaltens“ des Kindes und nicht die analytische Aufarbeitung der den Eltern innewohnenden Annahmen über Erziehung und kindliches Verhalten – wie es heutzutage meist in Therapien getan wird.
Die Ratschläge, die zum Umgang mit den Kindern gegeben werden, sind solche, wie wir sie auch heute noch oftmals als Eltern von anderen Familienangehörigen empfangen: kulturelle Überlieferungen über Erziehung. Dennoch sind aus Sicht der heutigen Pädagogik und Psychologie einige der aufgeführten Hilfen klar veraltet, beispielsweise wenn es um das beliebte Thema des Durchschlafens bzw. nächtlichen Wachwerdens aus Angst vor der Dunkelheit geht, bei dem Dreikurs rät „Der beste Weg ist, die Ängstlichkeit des Kindes zu ignorieren„. Auch in Hinblick auf die Ernährung des Kindes sind Annahmen wie „Vielleicht lässt sich ein verwöhntes Kind gnädigst herbei, Dinge zu essen, die ihm ‚gut schmecken‘ Eltern, die sich auf solche Forderungen einlassen, verstehen nicht die Bedeutung von Ordnung im Leben des Kindes oder sie ind allzu nachgiebig. Ein Kind sollte nach Möglichkeit essen, was auf den Tisch kommt, auch dann, wenn es etwas nicht besonders mag.“ Diese Ratschläge hören wir bisweilen auch heute noch von Großeltern und Tanten. Sie sind jedoch, wie beispielsweise Herbert Renz-Polster in seinem Buch „Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt“ oder Karl Heinz Brisch in „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern: Sichere Bindung zwischen Eltern und Kind“ ausführen, längst durch neuere Forschungen aus der Bindungstheorie oder durch Erkenntnisse der Evolutionsforschung widerlegt.
Gesamturteil: „Wie Eltern besser werden“ bietet einen interessanten Ausflug zu den Ansätzen der Behebung von Erziehungsfehlern und kann in sofern für Pädagogen und Psychologen von Interesse sein. Für Eltern jedoch sind Werke, die auf aktuellen Erkenntnissen beruhen auch jeden Fall eher zu empfehlen.