Immer häufiger sieht man Eltern – Mütter wie Väter -, die ihre Kinder tragen. In Tragesäcken, Tragesitzen oder im Tragetuch. Was anfangs noch als allzu alternativ abgestempelt wurde, hält nun wieder Einzug in die Kinderpflege und alltägliche Erziehungspraxis.
Allzu lange ist es nämlich auch noch gar nicht her, dass das Tragen von Kindern Alltag war. Erst 1880 wurde der erste Kinderwagen erfunden, damals unter dem Namen „Promeneuse“. Als Statussymbol hat er sich von den reichen Familien seinen Weg gebahnt bis heute, wo es kaum einen kinderreichen Haushalt ohne ihn gibt. Und auch heute ist er bisweilen durchaus als Statussymbol zu betrachten, gibt es doch sehr teure Modelle, die mit einem Augenzwinkern auch als „Mercedes der Kinderwagen“ bezeichnet werden.
Das Tragen hingegen ist seit Jahrtausenden, lange bevor es den Kinderwagen gab, die natürliche Art, in der Kinder transportiert werden. Auch heute noch werden Kinder in vielen Kulturen der Welt auf zum Teil sehr unterschiedliche Art getragen: In Neuguinea werden die Papua-Babys beispielsweise in Netzen auf dem Rücken getragen, wobei das Trageband des Netzes um die Stirn der Mutter verläuft. Die Yanomami-Frauen im Amazonasgebiet hingegen tragen ihre Kinder bis sie abgestillt sind, was meist bis ins vierte Lebensjahr geht, nur mittels eines Trageriemens. Und Inuit-Mütter tragen ihre Kinder in der Kapuze ihres Anoraks. Jede Kultur hat ihre eigenen Methoden des Transportes erfunden, die das Tragen in den jeweiligen Gebieten unter unterschiedlichen Umweltbedingungen ermöglicht. Gleich ist jedoch in allen Kulturen, dass Kinder nahe am Körper gehalten werden.
Während der Transport des Kindes im Kinderwagen nicht mit Vorteilen in Bezug auf die kindliche Entwicklung in Verbindung gebracht wird, ist es beim Tragen des Kindes anders: Sowohl in Hinblick auf die psychische als auch auf die physische Entwicklung bringt das Tragen klare Vorteile. Durch den Körperkontakt wird die Bindung zwischen Tragendem und getragenem Kind gestärkt. Da das Kind sehr nah am Körper der Bezugsperson ist, muss es auch weniger starke Signale einsetzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Getragene Kinder äußern daher ihre Wünsche weniger lautstark und Eltern können schneller auf das Kind eingehen und lernen besser die Ausdrucksmöglichkeiten des Kindes kennen. Auch das Kind lernt viel durch das Getragenwerden: Es hat am Alltag der Eltern auf Augenhöhe teil, erfährt viel über die täglichen Abläufe und spürt sehr genau, wie es Mama oder Papa geht, da es den Herzschlag spüren kann, die Körpertemperatur wahrnimmt, die Stimmen hört usw. Und neben diesen klaren Vorteilen in Bezug auf die Eltern-Kind-Beziehung, gibt es auch noch Vorteile für die körperliche Entwicklung: Getragene Kinder leiden weniger unter Koliken und Blähungen, ihr Gleichgewichtssinn wird besser angeregt und das Tragen wird sogar zur Vorbeugung oder Therapie bei Hüftdysplasien eingesetzt.
Doch um in Genuss dieser körperlichen Vorteile für das Kind zu kommen ist es wichtig, dass auch richtig getragen wird: Die Beine sollten beim Tragen mindestens bis zu einem rechten Winkel angehockt sein können, das Kind sollte eng am Tragenden getragen werden können, so dass es aufrecht bleibt und auch im Schlaf nicht ungünstig zusammensinkt und der Kopf des Kindes muss ausreichend gestützt werden können. Leider gibt es einige Modelle an Tragesäcken oder -sitzen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Und auch wenn Hersteller damit werben, dass Kinder in ihrem Modell auch mit dem Gesicht nach vorn (d.h. mit dem Rücken am Bauch des Tragenden) getragen werden können, sollten Sie diese Möglichkeit nicht wahrnehmen. Wird das Kind mit dem Gesicht nach vorn getragen, ist die korrekte Haltung der Beine, die sogenannte Spreiz-Anhock-Stellung, nicht gegeben. Auch der Rücken wird so nicht gestützt, sondern das Kind verfällt in ein Hohlkreuz. Neben diesen Haltungsproblemen ist das Kind zudem den Umwelteinflüssen hilflos ausgesetzt und kann sich nicht zurückziehen, wie es bei anderen Tragevarianten möglich wäre. Hierdurch kann es zu einer Überforderung des Kindes kommen, die in abendlichen Unruhen endet. Um daher eine gute Tragevariante zu finden und möglichst verschiedene Methoden ausprobieren zu können, ist der Gang zu einer Trageberaterin vorteilhaft. Sie kann verschiedene Modelle vorführen und Bindetechniken für das Tragetuch zeigen. Auf diese Weise können Eltern sicher sein, dass sie eine gesunde Transportmethode für ihr Kind finden, die zudem – auch bei einem teuren und hochwertigem Tuch oder anderem Tragemodell – wesentlich preiswerter ist als die Anschaffung eines Kinderwagens. Interessierte Eltern können sich zudem in Evelin Kirkilionis’ Buch “Ein Baby will getragen sein” über die Vorteile des Tragens informieren.