Rezension: Bitterfotze

515ulfy7gwl_sl160_1

Zwei Umstände haben mich zu dem Buch „Bitterfotze“ geführt: Ein Artikel vom 18. Mai aus der Süddeutschen Zeitung und meine Kiezbuchhandlung, in der das Buch auf Platz 4 der meistverkauften Bücher war. Ein feministischer Entwicklungsroman sollte es sein und ich war gespannt, warum in meinem familienreichen Kiez dieser Roman so weit vorne in der Verkaufsliste steht.

Sara, 30 Jahre, Mutter eines zweijährigen Sohnes, Journalistin, ist müde und frustriert. Sie stellt fest, dass sie aufgrund der Ungleichheit zwischen Mann und Frau zur „Bitterfotze“ mutiert ist. Die Zeit der Mutterschaft hat sie ausgebrannt und entkräftet zwischen Stillproblemen, Kitaalltag und einem wenig anwesenden Partner zurückgelassen. Sie bucht einen Pauschalurlaub auf Teneriffa, lässt Mann und Kind daheim und reflektiert in der Ferne ihr Leben: Angefangen in der freudlosen Kindheit, umgeben von einer aufopferungsvollen und entkräfteten Mutter und einem alkoholabhängigen Vater, über ihre Suche nach Geborgenheit und Liebe in der Jugend bis hin zu ihrem Erwachsenenalter, verkannt im Job und vereinsamt in der Mutterschaft. Im Gepäck hat sie „Angst vorm Fliegen“, Erica Jongs Roman aus dem Jahr 1973 – ein Bestseller der Frauenbewegung. Neben der Analyse ihres eigenen Lebens erkennt sie auch im Urlaub an den anderen Touristen jene Verhaltensmuster, welche eigentlich schon lange Dank der Emazipation überholt sein sollten, doch deren Existenz ihr beweisen, dass auch heute die Rolle der Frau noch festgeschrieben ist und ihre Seele fremdbestimmt wird.

Maria Svelands Roman ist in Schweden zu einem Bestseller geworden. Es heißt, das Buch bilde ab, wie Frauen heute noch wie schon in den 70ern und zuvor unter dem Patriarchat leiden, dass die Emanzipation in der Familie nicht angekommen sei und noch immer am Anfang stehe. Liest man das Buch aus dieser Sicht, ist es eine Streitschrift einer frustrierten Frau, voll von Sehnsüchten, Ängsten und Vorwürfen an die Gesellschaft, der die Frau anscheinend hilflos ausgeliefert ist. Doch gelingt es Frau Sveland tatsächlich, die Geschlechtermachtordnung des 21. Jahrhunderts abzubilden? Man kann das Buch auch aus einer anderen Perspektive lesen: Hier wird die Geschichte einer jungen überforderten Mutter erzählt, die in ihrer Kindheit und Jugend Erfahrungen gemacht hat, die sie ihr Leben lang begleiten und – wenn teilweise sicher auch unbewusst – Grundlage ihrer eigenen Entscheidungen sind. Wie lebt ein Leben nach, welches sie in die Wiege gelegt bekommen hat und versucht nun, sich dagegen aufzubäumen, indem sie mit der Aufarbeitung der schweren Erfahrungen beginnt und zu dem Schluss kommt, ihr Leben ändern zu müssen. Ist dies Feminismus?
Als feministische Streitschrift ist Svelands Buch eher fragwürdig, denn ist es wirklich so, dass das „Mutterwerden (…) das Bitterfotzenbeschleunigenste überhaupt“ und „Mutterwerden (…) das schwierigste Gleichstellungsprojekt überhaupt“ ist und sich bei absolut allen Paaren dies erfüllt? Und warum erfüllt sich am Ende doch das, wogegen anfangs rebelliert wird?Müssen wir außerdem immer wenn wir von Emazipation sprechen dem männlichen Rollenbild nachstreben? Ist dies Emazipation? Liest man den Roman als Psychogramm einer Frau mit schwerer Kindheit, deren Auswirkungen ihr ganzes Leben beeinflussen, hat es immerhin einen pädagogischen Wert. Doch letztlich bleibt für mich die Frage offen: Warum ist es auf Platz 4 in meiner Buchhandlung gelandet? Sind die anderen Frauen ebenfalls dem Presserummel gefolgt und wurden enttäuscht? Hat es anderen gefallen und sind die fröhlichen Gesichter der Kiezmütter auf dem Spielplatz nur aufgesetzt vor der bitterfotzigen Grimasse einer vereinsamten Hausfrau?

Gesamturteil: In der Schwangerschaft dringend abzuraten – während der Mutterschaft eigentlich auch und davor sowieso.

Dieser Beitrag wurde unter Eltern-Buecher abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert